Interview: Matej Mikusik
Herr Dahlén, die Medien bezeichnen Sie häufig als den “Marketing Guru der Wirtschaft”. Wollen Sie ein Guru sein?
Micael Dahlén: Nicht wirklich. Ich will eigentlich nur ich selbst sein, in der bestmöglichen Art und Weise. Es ist ein Lebensprojekt.
Mögen Sie den Begriff?
Nicht besonders.
Warum?
Ich finde, ein Guru ist nicht eine besonders spassige Person. Es ist jemand, der sein Gebiet sehr ernst nimmt – zu ernst, wie ich glaube. Und es ist jemand, der weiss oder wenigstens glaubt zu wissen, dass er alles über ein Gebiet weiss. Ich will Spass haben – warum also so viel Zeit auf etwas verwenden, das keinen Spass macht? Es bedeutet, dass man die wertvolle Zeit vergeudet, die man in im Leben hat. Davon abgesehen, sehe ich bescheidenerweise ein, dass ich nicht alles weiss was es zu wissen gibt, das ist unmöglich in dieser super-vernetzten Welt. Ich fokussiere mich eher darauf, neue Routen zu entdecken und Dinge in eine neue Perspektive zu setzen – oder um es mit den goldenen Worten von Star Trek zu sagen: „ Too boldly go where no human has ever gone before.“
Was ist Ihr Lieblingsfilm?
Wie viel Zeit haben wir? (lacht) Es gibt so viele grossartige Filme. “Unbreakable” von M Night Shyamalan ist wirklich cool, viel besser als “Sixth Sense”, der ihn berühmt machte. “Unbreakable” spielt mit dem Gedanken, dass in jedem von uns ein potentieller Superheld und gleichzeitig auch ein Superschurke steckt. Es ist ein wirklich trauriger Film jedoch mit einer fundamental positiven Message. “Bram Stoker’s Dracula” mit Gary Oldman gehört auch dazu. Eigentlich aus demselben Grund. Ein potentieller Superheld und Superschurke, vereint in ein und derselben Person. Und natürlich “Ground Hog Day” mit Bill Murray, der denselben Tag immer und immer wieder erlebt. Super witzig, aber auch mit der Kernbotschaft, dass es nicht darum geht, den Tag nur zu überstehen sondern den Tag wirklich zu leben.
Und Ihr Lieblingsbuch?
Es gibt ein wirklich duftes Buch von Nathan Larson, “Dewey Decimal”, über einen Typen, der es nach einer Apokalypse aus irgendeinem Grund für unbedingt notwendig hält, alle Bücher in der New York City Bibliothek zu ordnen. Und dazwischen einigen Leuten das Leben rettet und ein paar wirklich böse Leute bekämpft. Es ist wie eine Art verworrene Aufnahme des täglichen Lebens in der heutigen Zeit.
Und beim Sound?
Ich liebe Marilyn Manson. Und Kanye West. Sie haben denselben Vibe, diesen „ein-bisschen-zu-viel-von-allem“-Ansatz, wenn auch in sehr verschiedenen Richtungen. Und Rammstein sind supercool. Davon abgesehen, für den Fall, dass ihr die Schwedische Band Ghost nicht kennt, hört mal rein. Sie sind wirklich witzig und ein interessanter Mix zwischen Death Metal und Abba.
Ich habe mir grad vorhin Ihre Autorenseite auf Amazon angesehen: “Monster”, “Nextopia”, “Marketing Communications”, “Creativity Unlimited”, “Livet pa mars” – was soviel bedeutet wie Leben auf dem Mars. Alle diese Bücher handeln von verschiedenen Themen – gibt es eine Gemeinsamkeit?
Sie handeln alle von Menschen, von der Menschheit. Das neunte Wunder – oder besser: die 7 Milliarden Wunder der Welt, sie alle überraschen jeden Tag aufs Neue und widersetzen sich Erwartungen aufs Neue. Warum machen wir all die seltsamen, wunderbaren, entsetzlichen Dinge, die wir tun?
Sie haben Bücher geschrieben über “das nächste grosse Ding, dem wir alle hinterherrennen”, dem ultimativen Vergnügen (nextopia). Und eins über die Wirtschaftlichkeit von Mord (monster). Beides sind eigentlich Themen über Utilitarismus, jedenfalls in einer gewissen Art und Weise. Was ist das nächste grosse Ding im grausamen Vergnügen des Utilitarismus in unserer digi-sozialen Gesellschaft?
Zeit. Es ist dieser eine kritische Faktor, den wir alle besitzen aber von dem wir nie genug haben. Vielleicht das einzige universelle Element von dem wir es nicht geschafft haben, es wirklich für uns nutzbar zu machen. Aber es gibt einige sehr coole Dinge, die sich momentan in dieser Richtung tun.
Auf Ihrer Homepage steht der Satz: “Professor Dahlén ist ein Entdecker aller Dinge, die “mindblogging” sind – ein Suchender der Anomalien”. Erzählen Sie mir doch bitte ein bisschen mehr über die nächste grosse Anomalie, auf die Sie sich konzentrieren werden.
Geld. Wir brauchen es nicht mehr wirklich, sowohl aus wirtschaftlicher Perspektive – in unserem Teil der Welt sind Bruttoinlandsprodukt und Saläre auf einem Niveau, wo Erhöhungen das Gemeinwohl bzw. Wohlbefinden nicht mehr signifikant steigern – als auch in funktioneller Hinsicht. Wir sind so vernetzt, dass wir handeln, koproduzieren und uns immer wieder finden könnten, ohne dass wir die ganze Zeit dazu Geld austauschen müssten. Aber wir tun es trotzdem, weil wir Geld mögen. Es beinhaltet eine ganze Reihe psychologischer Aspekte. Ich habe Experimente und Studien aus sozialer und evolutionärer Perspektive dazu durchgeführt. Zum Beispiel etwa in welcher Weise Geld die Entscheidungsfindung, das Verhalten und die Selbstreflektionen von Menschen beeinflusst – die Resultate sind höchst amüsant, in vielerlei Hinsicht.
Themawechsel: Kaufen Sie gerne ein?
Ja, zumindest im Sinne von Stöbern. Ich liebe es.
Machen Sie dies lieber online oder offline?
Gibt es wirklich ein entweder oder?
Was ist Ihre Lieblingsmarke?
Nao. Brasilianische Turnschuhe. Die sind Fantasmegamässig!
Werden stationäre Läden in zwanzig Jahren immer noch Sinn machen?
Nein. Noch einmal: Gibt es wirklich ein entweder oder? Der Begriff “klicks and mortar” statt “bricks and mortar” sagt alles.
Was ist mit Einkaufszentren?
Einkaufszentren werden immer noch Sinn machen. Obwohl der Sinn sicherlich ein anderer sein werden dürfte.
Haben Sie Spass an Marketing so wie es derzeit im 2015 gemacht wird? Ist es kreativ?
Ich denke, wir sehen momentan einen Bruch. Marketing und Werbung sind in den letzten zehn Jahren immer kreativer geworden, allerdings so ziemlich im Rahmen der traditionellen Konsumenten- und Business-Definition. Im Augenblick, mitten in der technologischen Explosion, ändern sich diese Definitionen und Marketing und Werbung versuchen ihren Platz und ihre Mission in diesem neuen Gewusel zu finden. Spulen Sie im Schnellvorlauf zwei, drei Jahre vor, all diese Dinge und Begriffe werden sich gesetzt haben und die Kreativität wird voll durchstarten.
Welchen Aspekten von Marketing-Kreativität sollten Firmen besondere Aufmerksamkeit schenken, wenn sie die Attraktivität ihrer Produkte steigern wollen?
Die zwei fundamentalen Dimensionen von Kreativität sind Neuheit und Bedeutsamkeit oder Relevanz. Bedeutsamkeit und Relevanz sind Synonyme, aber die meisten Menschen tendieren dazu, das Wort Relevanz zu nutzen, und das ist der Punkt, in dem sie falsch liegen. Indem sie sich auf Relevanz fokussieren, schränken sie ihre Sichtweise ein und zwar – im Grunde genommen auf: “Passt es zu meiner Zielgruppe und ihrem Kontext?” Das ist zu einfach. Das Schwierige wird sein, herauszufinden und neu zu definieren, welche Bedeutung das Produkt spielt und spielen könnte in der neuen Zeit für die Menschen.
Sind die vier klassischen P’s überholt?
Ja. Was war das noch gleich... Place...? Promotion...? Das ist Altgriechisch.
Ich bin mir nicht sicher, aber es scheint mir als wären die Wörter „Bewusstsein“, „gesunder Menschenverstand“ und „Kreativität“ zentral in Ihren Büchern über Marketing und Ökonomie. Weshalb?
Personen handeln niemals mit gesundem Menschenverstand. Gesunder Menschenverstand hat sehr wenig mit dem zu tun, was und warum Leute tun, was sie tun. Vergessen Sie gesunden Menschenverstand – und Kreativität entfaltet sich, zum Wohle aller. Bewusstsein ist etwas, von dem wir alle zu wenig haben. Wir nehmen uns selten die Zeit, unsere Taten und ihre Auswirkungen zu reflektieren. Und deswegen verpassen die Meisten die Chance, ihren inneren Superhelden freizusetzen.
Sprechen wir über ein anderes prickelndes Thema: Gibt es so etwas wie die Ökonomie von Sex?
Ja.
Bitte erläutern Sie uns das doch etwas näher.
Historisch gesehen war Sex der Treiber für Dinge wie etwa Handel, Infrastruktur und technologische Entwicklung. Ich meine, sehen Sie sich die frühe Entwicklung der Videoindustrie oder Internetnutzung an, wo wäre diese ohne Pornographie? Machen Sie eine Schnellsuche im App-Store und sie werden es sehen. Oder nehmen Sie als ein etwas weniger explizites Beispiel das Thema Dating und das viele Geld, das Menschen für die Partnersuche ausgeben – für Partnerbörsen oder alles andere, was damit verbunden ist wie Restaurants, SPAs, Urlaub – bis hin zum Reisen-Markt für Hochzeits-Anlässe. Wenn man es genauer betrachtet, verdichtet, dann treten viele entlarvende Dinge zutage.
Eine Ihrer Hypothesen ist: „Die zukünftige Währung bist Du“. Also warum ist Geld – ich zitiere – so „yester-millenium“ – so von gestern?
Das bezieht sich auf das, was ich vorhin gesagt habe. Geld hat seinen Zenit erreicht, bezogen auf das, was es für uns leisten kann. Was bringt Geld, wenn wir keine Zeit haben, es auszugeben? Oder wenn wir es nicht dahin bringen können, wo wir es gerne ausgeben würden – virtuell und real? Es entwickelt sich zurzeit grad ein neuer Typ von Währungen.
Erklären Sie uns noch eine andere Sache: Warum liegen hunderttausende junger Menschen miteinander im Wettstreit für einen One-way-Trip zum Mars?
Sie möchten als Erste dort sein. Und ein schönes Plätzchen finden, bevor alle anderen dort hinziehen. Immerhin ist der Mars viel kleiner als die Erde und wenn man einen guten Platz ergattern will, muss man sich beeilen. Ausserdem kann man Teil einer regelrechten Reality-Seifenoper werden, die diesen ersten Trip ja finanzieren soll – und wer will schon nicht in einer Reality Saop mitspielen? Formate wie Paradise Hotel und das endlose Angebot an Sendungen in diesem Genre lässt vermuten, dass es jeder will.
Jetzt die ultimative Frage: Was ist der Sinn des Lebens?
Ich habe mich so lange mit dieser Frage beschäftigt, ich kann tatsächlich eine kurze Antwort darauf geben: Es zu leben.
Und jetzt die Letzte: Sind Sie rebellisch?
Wenn rebellisch heisst, dass man allergisch auf Regeln und Konventionen reagiert oder sie nicht wahrnehmen will, dann ja.
Herr Dahlén, besten Dank für das Interview.
Gut zu wissen: Dahléns erster Auftritt in der Schweiz steht bald an. Die aktuelle Marktstudie von Stoffel-Zurich zeigt, der Schweizer Retail und die Shopping Center Industrie kommen unter Druck: 60 Prozent der in der Studie befragten Spezialisten gehen davon aus, dass die Umsätze im stationären Handel sinken werden. Neue Ideen sind gefragt. Antworten gibt der mit Spannung erwartete Shopping Center Kongress. Der Branchenverband Swiss Council of Shopping Centers präsentiert am 12. Mai 2016 das Schweizer Shopping Center Forum & Swiss Council Congress. Das Motto: «LEAD THE CHANGE – die neuen Shopping Center.»
Der Leckerbissen des diesjährigen 9. Forums ist zweifelsohne der erste Auftritt in der Schweiz von Professor Dahlen von der Universität in Stockholm. Ein weiteres Erlebnis bieten die hochkarätigen Referate, etwa von Herr Curdin Janett, CEO von Publicis AG und aktueller Werber des Jahres oder von Sonia Lavadinho, die Ihren Ansatz der Urbanisierung der Einkaufsdestinationen erklärt. Die Besucher werden von Christa Rigozzi durch das vielfältige Programm begleitet.
Einen Frühbucherrabatt für Kongress-Teilnehmer gibt es bis am 29. Februar 2016 unter: