Professor Dr. Thomas Rudolph, Gastgeber und Hausherr des alle zwei Jahre stattfindenden St. Galler-Handelstags, begrüsste kürzlich anlässlich der achten Ausgabe der Veranstaltung knapp 150 Gäste in der Gallus-Stadt. Rudolph, Leiter des Instituts für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen IRM-HSG, erklärte in seinem Eröffnungsreferat, dass wir alle derzeit mitten in einem grossen Umbruch stünden. Kollaborative Roboter, vernetzte Maschinen, künstliche Intelligenz – alle diese Entwicklungen veränderten das Verhalten der Kunden, aber auch die Verhaltensweisen der (Handels-)Manager. Rudolph sagte, dass der Fokus der Veranstaltung auf der Transformation von Geschäftsmodellen liege und sich der Anlass thematisch inbesondere an bereits etablierte Retailer richte, die von der Digitalisierung direkt betroffen sind.
Geschäftsmodelle neu (über)-denken
Die Digitalisierung zwinge die Händler förmlich dazu, ihre bisherigen Geschäftsmodelle neu zu (über)-denken. Im Geschäftsleben seien Strategieanpassungen und Strategiewechsel courant normal, nicht jedoch die Thematik einer Geschäftsmodell-Transformation, so Prof. Dr. Thomas Rudolph weiter. Die Themen Geschäftsmodell-Transformation oder sogar Geschäftsmodell-Wechsel seien für viele Unternehmen relativ neu auf dem Tapet, weil das Risiko dabei gross und die Veränderungsgeschwindigkeit sehr hoch seien: «Bei einem Geschäftsmodell-Wechsel verändern Sie als Unternehmer das Geschäftsmodell komplett. Und bei einem Geschäftsmodell-Wechsel wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass 80 Prozent der Belegschaft augestauscht werden muss.»
Rudolph verwies in der Folge auf das von ihm – zusammen mit Markus Schweizer von der Firma Holistic Consulting – taufrisch veröffentlichte Buch mit dem Titel «High 5 – Erfolgreiche Geschäftsmodelltransformation in disruptiven Zeiten». In diesem Werk geht es stark vereinfacht gesagt darum, dass Managern in etablierten Unternehmen in Zeiten disruptiver Veränderungen Mut gemacht werden soll. Dabei liefern die beiden Autoren unter anderem Management-Hinweise für eine erfolgreiche Selbstdisruption, präsentieren mehr als 20 Fallbeispiele zu Geschäftsmodell-Transformationen aus unterschiedlichen Industrien und geben Anregungen, beispielsweise in Form des «High 5»-Ansatzes. Bei besagtem «High 5»-Ansatz wird nach fünf Handlungsfeldern unterschieden:
- Leistungserstellung (Optimierung und Anpassung der Leistungen)
- Leistungsangebot (Überprüfung des Angebots)
- Kostenmodell (Anpassung der Kostenstruktur, zum Beispiel Prüfung der Anzahl Läden bzw. der Mietpreise)
- Ertragsmodell (Mit welchem Geschäftsmodell lässt sich in Zukunft Geld verdienen)
- Leistungsversprechen
Disruptive Veränderungen gibt es nicht erst seit der Neuzeit, sondern sie waren schon immer Teil des wirtschaftlichen Umfelds. Angetrieben von der Neugierde, haben es clevere und findige Köpfe immer wieder geschafft, den Status-Quo zu hinterfragen und grundlegend zu verändern – sei dies in der Art wie produziert wird, wie wir konsumieren oder wie wir leben.
Disruption als Herausforderung
In der Vergangenheit ist es den Handelsunternehmen meist gelungen, die Disruption zu erkennen. Dennoch haben es die meisten nicht geschafft, ihre Strukturen zeitnah auf die neuen Gegebenheiten anzupassen. Oftmals wird am bis anhin erfolgreichen Geschäftsmodell festgehalten, bis man Schritt für Schritt Marktanteile an die neuen Markteilnehmer verliert. Nur wenigen etablierten Unternehmen gelingt es, sich den Herausforderungen einer Disruption erfolgreich zu stellen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich die achte Ausgabe vom Handelstag der Universität St. Gallen 2018 mit der Thematik der «Disruptiven Geschäftsmodelltransformation». Top-Manager erfolgreicher Unternehmen und Organisationen präsentierten und diskutierten Ansätze zur erfolgreichen «Selbstdisruption».
Spannende Referenten
Als Referenten traten in St. Gallen – unter anderen – Vertreter von namhaften Unternehmen wie Ikea, Migros, Valora oder Karstadt auf. Nachfolgend eine Liste der Referenten und Referentinnen des diesjährigen 8. St. Galler Handelstags:
- Marco Werner (CDO der deutschen Warenhauskette Karstadt)
- Wolfgang Krogmann (CEO Deutschland und Österreich des irischen Modeunternehmens Primark)
- Kilian Wagner (CEO des innovativen Brillen-Labels VIU)
- Jörn Werner (Geschäftsführer A.T.U. – die Firma handelt mit Kraftfahrzeugzubehör und Autoersatzteilen)
- Simona Scarpaleggia (CEO / Country Manager von Ikea Schweiz)
- Michael Mueller (CEO des Schweizer Kiosk- und Handelskonzerns Valora)
- Sarah Kreienbühl (Mitglied der Generaldirektion und Leiterin HR Migros)
- Rageth Clavadetscher (CEO des Einkaufszentrums Glatt bei Zürich)
- Udo Latino (CEO von Brodos)
Wolfgang Krogmann, der bei der irischen Billigmode-Kette Primark als CEO für die Ländermärkte Deutschland und Österreich verantwortlich zeichnet, hielt das Publikum mit einem in vielerlei Hinsicht interessanten und aufschlussreichen Referat bei Laune. Krogmann kennt den Mode-Detailhandel in- und auswendig, er verfügt über eine 30-jährige Erfahrung in der Branche. Seine Vita dokumentiert das eindrucksvoll: Sie umfasst Geschäftsführer- und Vorstandspositionen bei H & M, Jean Pascale, Ulla Popken und Adler Modemärke. Seiner jetzigen Aufgabe bei Primark widmet sich der in Hamburg lebende dreifache Familienvater seit 2010.
Was die Neuausrichtung des Einzelhandels im Textilhandel betrifft, so zeigte sich Krogmann optimistisch, dass der stationäre Einzelhandel auch künftig Bestand haben dürfte: Er zeigte sich überzeugt, dass der klassische Einzelhandel nicht von der Bildfläche verschwinden wird, er sich aber stark verändern werde. Zweitens müssten sich Management, Mitarbeitende und Betriebsräte künftig zwingend darauf einstellen, dass sie im Geschäftsleben permanent Veränderungen ausgesetzt sein werden. Und drittens, so Krogmann, hätten Unternehmen ohne ethische Werte (Stichwort u.a. soziale Verantwortung) keine Zukunftsberechtigung. Dies gelte nicht zuletzt auch für Firmen, die im Mode- und Textilbereich tätig sind.
Primark: Günstige Preise, keine Werbung
Krogmann erklärte, dass das 1969 gegründete Textilunternehmen Primark mit 75'000 Mitarbeitenden international erfolgreich unterwegs sei – und dies ohne Online-Shop. Doch dazu später mehr. Bei einem Jahresumsatz von 8,2 Milliarden Euro und einem Gewinn von 800 Millionen Euro resultiert bei Primark eine Gewinn-Marge von 10,4 Prozent. Das Primark-Erfolgsrezept dazu lieferte Krogmann gleich selber: «Erstens sind wir wegen unserer super-günstigen Preise so erfolgreich. Zudem kaufen wir unsere Ware in grossen Mengen ein, wobei wir uns direkt bei den Lieferanten eindecken. An keiner Stelle unserer Lieferkette haben wir irgendeinen Zwischenhändler. Wir machen keine Werbung, und wir leben von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Zuguterletzt haben wir sehr schlanke Strukturen: Wir wickeln in logistischer Hinsicht alles sehr effizient und kostengünstig ab.»
Das Motto beziehungsweise das Leistungsversprechen von Primark lautet «Amazing Fashion, Amazing Prices». Das Alleinstellungsmerkmal von Primark sind ganz klar die günstigen Preise. So etwa sind T-Shirts bei Primark unter drei Euro zu haben. Dementsprechend ist die irische Modekette, die in der Schweiz (noch) nicht mit eigenen Stores vertreten ist, vor allem bei Jugendlichen in halb Europa sehr beliebt. Apropos günstige Preise bei Primark – laut Aussagen von Krogmann müsse sich die Konkurrenz warm anziehen: «Wir sind der preiswerteste Anbieter in der Stadt. Das verteidigen wir bis zum Allerletzten. Wir dulden nicht, dass irgendjemand uns im Preis unterbietet. Und wenn er es versucht: Wir haben die Ausdauer, die Konzeption und die Power dafür, das dauerhaft zu halten!»
Primark verzichtet bewusst auf Online-Shop
Krogmann überraschte die Besucher des 8. St. Galler Handelstags überdies mit der Aussage, dass Primark ganz bewusst auf einen Online-Shop verzichtet. Krogmann: «Einen Online-Shop zu betreiben, können wir uns bei den geringen Margen nicht leisten. Der Aufwand für die Logistik und die Bewältigung der Retouren sind schlicht zu gross. Das würde sich wirtschaftlich nicht rechnen.»
Heute werden im Textilhandelsbereich bereits 25 Prozent des Umsatzes online erwirtschaftet. Für das Unternehmen Primark, das mit seinen 355 Läden rein stationär unterwegs ist, bedeute dies, dass man der Online-Konkurrenz mit «Auswahl, Warenverfügbarkeit und operativer Exzellenz» auf Augenhöhe begegne. Primark sei sich aber sehr wohl bewusst, dass seine vor allem jüngere Kundschaft online- und digital-affin ist, weswegen sich das Unternehmen hauptsächlich in den Sozialen Medien bewege. Und dies überaus erfolgreich.